Geboren wurde Leopold von Sacher-Masoch in der Stadt Lemberg in Galizien (dem heutigen Lwow in der Westukraine), wo sein Vater die Position des Stadthauptmanns innehatte. Hier - in der tiefsten Provinz des damaligen österreichischen Kaiserreiches - verbringt er seine Kindheit. Die enge seelische Verbundenheit mit diesem Gebiet kommt in seinen Romanen vielfach zum Ausdruck.
Als Jugendlicher kommt er nach Prag, wo er maturiert und an der Universität ein Rechtsstudium beginnt. Im Jahr 1853 übersiedelt er nach Graz, da sein Vater dort Polizeidirektor wird. Er beginnt das Studium der Geschichtswissenschaften, 1856 promoviert er und habilitiert als Privatdozent für Geschichte an der Universität Graz. Im Jahr 1858 veröffentlicht er seinen ersten Roman "Eine Galizische Geschichte", und im Jahr 1860 gelingt ihm mit dem Roman "Der Emissär" der große Durchbruch. Von da an lebt er als freier Schriftsteller.
"Venus im Pelz" verfasst er im Jahr 1869, und dieser Roman wird zu einem Welterfolg. Zwei Jahre später beginnt die Grazer Handschuhnäherin Aurora Rümelin mit ihm eine Korrespondenz und nimmt dabei den Namen der Heldin von "Venus im Pelz" - Wanda von Dunajew - an. In der Folge entwickelt sich eine Beziehung zwischen ihnen, und sie heiraten im Jahr 1873. Zwei Söhne entstammen dieser Ehe. Das Ehepaar entfremdet sich im Laufe der Jahre aber zusehends, wobei beide andere Beziehungen eingehen. 1886 kommt es zur Scheidung, und im Jahr 1890 heiratet Sacher-Masoch die Übersetzerin Hulda Meister, mit der er bereits mehrere Jahre zusammenlebte und drei Kinder hatte. 1895 stirbt Sacher-Masoch an einer Herzattacke in Lindheim in Hessen.
"Herein!"
Ich trete ein. Sie steht mitten im Zimmer, in einer weißen Atlasrobe, welche wie Licht an ihr herunterfließt, und einer Kazabaika von scharlachrotem Atlas mit reichem, üppigem Hermelinbesatz, in dem gepuderten, schneeigen Haar ein kleines Diamantendiadem, die Arme auf der Brust gekreuzt, die Brauen zusammengezogen.
"Wanda!" Ich eile auf sie zu, will den Arm um sie schlingen, sie küssen; sie tritt einen Schritt zurück und mißt mich von oben bis unten.
"Sklave!"
"Herrin!" Ich knie nieder und küsse den Saum ihres Gewandes.
"So ist es recht."
"Oh! wie schön du bist."
"Gefall' ich dir?" Sie trat vor den Spiegel und betrachtete sich mit stolzem Wohlgefallen.
"Ich werde noch wahnsinnig!"
Sie zuckte verächtlich mit der Unterlippe und sah mich mit halbgeschlossenen Lidern spöttisch an.
"Gib mir die Peitsche."
Ich blickte im Zimmer umher.
"Nein", rief sie, "bleib nur knien!" Sie schritt zum Kamine, nahm die Peitsche vom Sims und ließ sie, mich mit einem Lächeln betrachtend, durch die Luft pfeifen, dann schürzte sie den Ärmel ihrer Pelzjacke langsam auf.
"Wunderbares Weib!" rief ich.
"Schweig, Sklave!" sie blickte plötzlich finster, ja wild und hieb mich mit der Peitsche; im nächsten Augenblicke schlang sie jedoch den Arm zärtlich um meinen Nacken und bückte sich mitleidig zu mir. "Habe ich dir weh getan?" fragte sie halb verschämt, halb ängstlich.
"Nein!" entgegnete ich, "und wenn es wäre, mir sind Schmerzen, die du mir bereitest, ein Genuß. Peitsche mich nur, wenn es dir ein Vergnügen macht."
"Aber es macht mir kein Vergnügen."
Wieder ergriff mich jene seltsame Trunkenheit.
"Peitsche mich", bat ich, "peitsche mich ohne Erbarmen."
Wanda schwang die Peitsche und traf mich zweimal. "Hast du jetzt genug?"
"Nein."
"Im Ernste, nein?"
"Peitsche mich, ich bitte dich, es ist mir ein Genuß."
"Ja, weil du gut weißt, daß es nicht Ernst ist", erwiderte sie, "daß ich nicht das Herz habe, dir weh zu tun. Mir widerstrebt das ganze rohe Spiel. Wäre ich wirklich das Weib, das seinen Sklaven peitscht, du würdest dich entsetzen."
"Nein, Wanda", sprach ich, "ich liebe dich mehr als mich selbst, ich bin dir hingegeben auf Tod und Leben, du kannst im Ernste mit mir anfangen, was dir beliebt, ja, was dir nur dein Übermut eingibt."
"Severin!"
"Tritt mich mit Füßen!" rief ich und warf mich, das Antlitz zur Erde, vor ihr nieder.
"Ich hasse alles, was Komödie ist", sprach Wanda ungeduldig.
"Nun, so mißhandle mich im Ernste."
Eine unheimliche Pause.
"Severin, ich warne dich noch ein letztes Mal", begann Wanda.
"Wenn du mich liebst, so sei grausam gegen mich", flehte ich, das Auge zu ihr erhoben.
"Wenn ich dich liebe?" wiederholte Wanda. "Nun gut!" sie trat zurück und betrachtete mich mit einem finsteren Lächeln. "So sei denn mein Sklave und fühle, was es heißt, in die Hände eines Weibes gegeben zu sein." Und in demselben Augenblicke gab sie mir einen Fußtritt. "Nun, wie behagt dir das, Sklave?"
Dann schwang sie die Peitsche.
"Richte dich auf!"
Ich wollte mich erheben.
"Nicht so", gebot sie, "auf die Knie."
Ich gehorchte und sie begann mich zu peitschen.
Die Hiebe fielen rasch und kräftig auf meinen Rücken, meine Arme, ein jeder schnitt in mein Fleisch und brannte hier fort, aber die Schmerzen entzückten mich, denn sie kamen ja von ihr, die ich anbetete, für die ich jede Stunde bereit war, mein Leben zu lassen.
Jetzt hielt sie inne. "Ich fange an, Vergnügen daran zu finden", sprach sie, "für heute ist es genug, aber mich ergreift eine teuflische Neugier, zu sehen, wie weit deine Kraft reicht, eine grausame Lust, dich unter meiner Peitsche beben, sich krümmen zu sehen und endlich dein Stöhnen, dein Jammern zu hören und so fort, bis du um Gnade bittest und ich ohne Erbarmen fortpeitsche, bis dir die Sinne schwinden. Du hast gefährliche Elemente in meiner Natur geweckt. Nun aber steh' auf."
Ich ergriff ihre Hand, um sie an meine Lippen zu drücken.
"Welche Frechheit."
Sie stieß mich mit dem Fuße von sich.
"Aus meinen Augen, Sklave!"
Wir fuhren aus der Kreisstadt Kolomea auf das Land. Es war Abend und am Freitag. Der Pole sagt: "Der Freitag ist ein guter Anfang", aber mein deutscher Kutscher, ein Kolonist aus Mariahilf, behauptete, der Freitag sei ein Unglückstag, denn an diesem Tage sei unser Herr am Kreuze gestorben und habe das Christentum angefangen.
Diesmal behielt der Deutsche recht, denn eine halbe Stunde von Kolomea wurden wir von einer Bauernwache angehalten.
"Steh! - den Paß!"
Wir standen. Aber der Paß! - Meine Papiere waren freilich in Ordnung, aber wer hatte an meinen Schwaben gedacht. Der saß auf seinem Kutschbock, als wenn die Erfindung des Passes noch zu machen wäre, schnalzte mit der Peitsche und legte frischen Schwamm in seine kurze Pfeife. Der konnte freilich ein Verschwörer sein. Sein unverschämt behagliches Gesicht forderte meine russischen Bauern heraus. Paß hatte er keinen, das war richtig; nun zuckten sie die Achseln, das war ebenso richtig.
"Ein Verschwörer", hieß es.
"Aber Freunde, bedenkt doch!" Alles umsonst. "Ein Verschwörer!"
Mein Schwabe rückt verlegen auf seinem Brett und malträtiert fruchtlos die russische Sprache. Alles umsonst. Die Bauernwache kennt ihre Pflichten. Wer wagt, ihr eine Banknote anzubieten? Ich nicht. So werden wir denn zusammen gepackt und einige hundert Schritte weit zu der nächsten Schenke geführt.
Von weitem schien es vor derselben von Zeit zu Zeit aufzublitzen. Es war die aufwärts genagelte Sense eines Bauers, der vor der Türe Wache hielt, und gerade über dem Rauchfang der Schenke stand der Mond und blickte auf den Bauer und seine Sense. Er blickte durch das kleine Fenster der Schenke und warf seine Lichter wie Silbermünzen hinein und füllte die Pfützen vor dem Hause mit Silber, um den geizigen Juden zu ärgern. Ich meine den Schenkwirt, der uns auf der Schwelle empfing und seine lebhafte Freude über die vornehmen Gäste dadurch ausdrückte, daß er eine Art monotones Jammergeschrei ausstieß.
Er wackelte mit dem Körper auf und ab wie eine Ente, küßte auf meinen rechten Ärmel einen Schmutzfleck, und der Symmetrie wegen auch auf den linken, und schalt dabei die Bauern, daß sie "einen solchen Herren", "einen solchen" - er wußte keine bezeichnendere Eigenschaft an mir zu finden - "einen solchen Herren arretiert, und einen solchen durch und durch schwarzgelben Herren , einen Herren, dessen Gesicht schon ganz schwarzgelb sei und dessen Seele ganz schwarzgelb sei, das möchte er auf die Thora beschwören", und schalt und gebärdete sich, als hätten sie ihm das ärgste Unrecht zugefügt.
Wer in leichter Gondel im stillen Meere schwimmt, das Element mit sich spielen, die schattenhaft gezeichneten
Ufer des festen Landes, der Inseln hinter sich versinken läßt, die Luft über sich, ein zweites Meer,
mit wogenden Wolken ahnungsvoll schaut, wird mich vielleicht verstehen, wenn ich von der galizischen Fläche,
dem winterlichen Schneeozean, der Fahrt in dem flüchtigen Schlitten berichte. Es zieht die Menschenseele
wehmütig sehnsuchtsvoll an, der Ozean wie die Ebene. Nur ist der Flug im Schlitten rascher,
adlerhafter - während sich der Kahn im Wasser wie eine Ente in der Luft wälzt -, nur ist die Farbe der
unendlichen Fläche, ist ihre Melodie ernster, düsterer, drohender, man sieht die Natur in ihrer Nacktheit,
den Kampf des Daseins, man fühlt den Tod näher, man empfindet seine Atmosphäre, man hört seine Stimmen.
Mich lockte der lichte Winternachmittag hinaus. Ich hatte die Fahrt beschlossen, mein Fuchs war krank,
nicht jedes Pferd geht gut im Schnee, ich ließ den Mausche Leb Kattun kommen, einen großen Kutscher vor dem Herrn,
und seine verläßlichen Pferde vor meinen Schlitten spannen. Der Tag war prächtig, die Luft stand still,
auch das Licht, die goldenen Sonnenwellen zitterten nicht im leichten Dunste der Erde. Luft und Licht
waren ein Element. Auch im Dorfe war alles still, kein Ton verriet die Bewohner der schweigsamen Strohhütten,
nur die Sperlinge flogen an den Zäunen in Scharen auf und schrien.
Weiter stand ein kleiner Schlitten mit einem hinkenden Pferdchen bespannt, nicht größer als ein Fohlen;
auf dem führte ein Bauer Holz aus dem Walde, sein halbgewachsenes Mädchen rief ihn und watete mit bloßen Füßen
durch den ellenhohen Schnee nach einem kleinen Scheite, das er verloren hatte.
Wie wir den kahlen Berg hinabflogen mit klingenden hellen Glöckchen, lag die Ebene vor uns, unermeßlich,
unfaßbar, unendlich. Der winterliche Hermelin gab ihr die höchste Majestät. Sie war ganz von ihm bedeckt,
nur die kahlen Stämme der niederen Weiden, entfernter einzelne langarmige Heidebrunnen, in der Ferne ein
paar verlorene rußige Hütten zeichneten sich schwarz auf dem weißen Schneepelz.
Mausche Leb Kattun schüttelte sich und schrie. Der erste Blick in die Ebene wirkte bei ihm wie
schnelles Gift; seine palästinische Phantasie begann in biblischen Phrasen zu reden, sie kam mit einem
einzigen Flügelschlag aus der Region der Pelztiere in jene der Palmen und Zedern; es warf ihn auf dem Bocke
wie einen Fieberkranken, er grub in seinem Hirn nach tausend Bildern für das eine Unfaßbare, das ihn quälte,
er spuckte die Gleichnisse zu Dutzenden aus, bis ich ihn schweigen hieß. Jetzt murmelte er vor sich hin.
Ich weiß nicht, ob er das Gespräch mit sich selbst fortsetzte, ob er betete? ob er
endlich das Gleichnis gefunden? ein unendliches weißes Papier, auf das er seine unendlichen Rechnungen
schrieb und zählte und zählte.
Wir flogen auf der festen Bahn dahin.
Wer im ganzen Kreise von Kolomea kennt nicht die arme kleine Chaike Wieselchen Rebhuhn? Aber es gibt auch
noch außer Kolomea Leute, und diese sollten sie gleichfalls kennen, obwohl wenig Merkwürdiges an ihr
ist. Eine arme Jüdin! Was weiter, eine arme Seele, die mit dem Schicksal zu kämpfen hat, so schwer,
so ununterbrochen, eine arme Mutter, die entsetzliche Angst aussteht um ihre Kinder, und doch nie mutlos wird,
sich nie ergibt, und heute steht sie gar vor ihrem Richter, eines Verbrechens angeklagt, eines wirklichen
Verbrechens, die arme kleine Jüdin mit den rotgeweinten Augen.
Wie das alles kam? So ganz gewöhnlich und doch seltsam genug. Vielleicht genau so,
wie die kleine Frau zu ihrem Namen kam. Da fiel es z. B. dem Kaiser Joseph II. ein, den Juden Namen zu geben,
denn warum sollen denn gerade die Juden keinen Namen haben, wenn alle anderen Leute Namen haben. Namen wie
Benjamin oder Schalmon sind keine richtigen Namen, die Juden sollen Familiennamen haben wie die Christen.
Aber es gibt so viele Juden, besonders in Galizien, wo die Namen auftreiben für so viele Juden?
Eine nicht geringe Aufgabe für einen österreichischen Beamten, bei dem die Phantasie
heute noch strengstens verboten ist, wie soll er das anfangen, hundert, ja tausend Juden Namen zu geben?
Eine verzweifelte Lage. Aber man hilft sich, wie man kann. »Wähle einen Namen.«
Der Jude überlegt, wenn er schon einen Namen haben soll, muß es ein schöner Name sein.
»Diamant«, sagt er endlich, »wäre ein guter Name.« - »Sollst heißen Diamant.«
Oder etwa in dieser Weise. »Wie willst du heißen?« - »Gott soll mich strafen, wenn ich weiß,
wie ich heißen soll.« - »Wo bist du geboren?« - »Gott soll mich strafen, wenn ich weiß,
wo ich geboren bin.« - »Und dein Tate?« - »Gott soll mich -« - »Und dein Ahn?« - »Ist er gekommen aus Warschau.« - »Sollst heißen Warschauer.«
Endlich sind aber alle Gestirne des Himmels und alle Früchte der Erde verbraucht, alle Städte und
Edelsteine. Was nun?
Hat einer zufällig einen Kaftan von Atlas an. »Sollst heißen Atlas.«
Der Großvater ihres Mannes hielt vielleicht eben ein totes Rebhuhn in der Hand.
»Sollst heißen Rebhuhn.« So kam Chaike zu diesem kuriosen Namen.
Die deutschen Beamten waren insbesondere bei uns in Galizien gewohnt, ähnliche Schwierigkeiten
spielend zu überwinden; z. B. bei der Konskription.
»Wieviel Kinder hast du?«
»Eine Tochter.«
»Wie heißt sie?«
»Sarah Mandelblüh.«
»Ist sie bei dir im Hause?«
»Sie ist verheiratet«, sagt der Jude, - »poszla za maz.« »Schreiben Sie«, sagt
der Beamte zum Kanzlisten, »Sarah Mandelblüh ausgewandert nach Zamosc.«
Wieselchen war der Spitzname der armen Chaike. Diese gute Gewohnheit, jedem Menschen in Form eines
kleinen Namens, gleichsam mit einem einzigen kecken Strich, einen lebendigen Paß, eine Personsbeschreibung
und Charakterzeichnung beizugeben, haben unsere Juden von den Russen in Galizien. Die Art und Weise,
wie Chaike stets hin und her lief und mit einer gewissen ängstlichen Eile, die an ein Wiesel mahnte,
ein Geschäftchen zu machen, etwas zu verdienen trachtete, hatte ihr diesen zweiten Namen eingetragen,
der ein wenig spöttisch, aber auch recht löblich klang. Von Haus aus hieß sie Chaike Konaw
und war die Tochter des Löw Konaw, eines armen, aber geachteten Mannes, der bei einigen sogar für
einen Viertelheiligen galt und in dem Rufe stand, nicht allein die Thora und den Talmud, sondern
auch den Sohar genau zu kennen. Chaike war als Kind etwas dergleichen wie eine kleine Pflaume,
die unreif vom Baume gefallen ist und die man nicht erst zu kosten braucht, um zu wissen, daß sie sauer ist,
die schon sauer ist, wenn man sie nur ansieht, so recht grünsauer.
Als Mädchen begann sie sich zu entwickeln, vom Grünen nämlich in das Gelbgrüne,
und jetzt, als Frau und Mutter von drei Kindern, ist sie an der Grenze angekommen, die ihr von der
Natur gesteckt war. Sie sieht aus wie ein Kind, das nicht alt werden kann, das aber auch nie jung war.
Ihr Gesicht, das nun einer unreifen sauren Zitrone gleicht, hat einen so liebenswürdigen Zug von Unschuld,
von Herzensreinheit, und doch spricht wieder ein so wehmütiges Wissen aus demselben.
Die großen Augen glänzen immer, wie wenn sie mit Tränen gefüllt wären.
Die kleine, magere, blasse Frau macht ganz den Eindruck schwächlicher Hilflosigkeit und
ernährt doch sich und drei Kinder, ihren ganzen Stolz, und heute steht sie vor ihrem Richter,
eines wirklichen Verbrechens angeklagt.
Der Frühlingswind strich frisch und kräftig durch die Steppe, wie über eine Orgel,
die jedesmal feierlich zu brausen begann. Über ihr stand der blaue Himmel ausgespannt,
schwammen große, weiße Wolken von Morgen gegen Abend, zogen die Geschwader der Störche und
der Kraniche nach dem Norden. Ringsum war das fröhliche Zirpen der Grillen, das Schwirren der
Grashüpfer und der süße Gesang der Vögel, die sich auf den Zweigen schaukelten,
dort wo blühende Sträuche, in Gruppen beisammenstehend, anmutige Inseln in dem
unbegrenzten grünen Meere bildeten.
Die Sonne, von keinem Berg gehemmt, von keiner finsteren Waldeswand aufgefangen,
von keinem Nebel umschleiert, überschüttete hier die Erde förmlich mit Glanz.
Man sah nirgends einen Schatten, außer wenn hier und da eine flüchtige Wolke vorübergezogen kam,
welche sich auf den Graswogen abzeichnete, sonst war überall nur Licht, goldenes Funkenspiel und
Fröhlichkeit. An den Halmen hingen blitzende Tropfen, die Wolken waren mit schimmernden
Säumen geschmückt, und jede Blüte schien einen feenhaften Edelstein zu bergen.
Ein Knabe, wie ein Bauernkind gekleidet, in hohen Stiefeln, weißen Leinwandhosen,
das über die letzteren fallende Hemd mit einem schwarzen Riemen gegürtet, eine schwarze
Lammfellmütze auf dem dunkeln Haar, schritt in dem mannshohen Grase dahin oder sprang mit
den Grashüpfern und sang mit den Vögeln um die Wette. Als diese plötzlich verstummten und
er einige Zeit nur das Rauschen der Steppe hörte und nichts sah als den blauen Himmel und die segelnden
Wolken, da wurde sein von der Luft gebräuntes Gesicht mit den großen, dunkeln Augen,
welche unablässig Wunder anzustaunen und Rätseln nachzufragen schienen, wie von
Kummer und Krankheit verdüstert. Aber plötzlich machte er einen Satz in die Höhe, setzte
sich mit auf der Brust gekreuzten Armen im Grase nieder und lachte, und wie herzlich er lachte, seine
Seele schien jubelnd zum Himmel emporzusteigen, gleich einer Lerche.
Er kam sich vor, wie Gulliver in dem Riesenlande Brobdingnag, wo dieser zwischen den Kornhalmen
wie in einem Walde umherlief, und deshalb mußte er so herzlich lachen. Doch kaum begann er seinen Weg
fortzusetzen, flog wieder ein schmerzlicher Schatten über seine energischen Züge.
Wie hatte doch der Vater kürzlich erst gesagt? »Der Tod führt uns auf dunkelm Kahn hinaus
in das Meer der Ewigkeit.« Wenn man stirbt, so dachte der Knabe jetzt weiter, versinkt man in diesem Meer,
wie ich mich jetzt in den grünen Wogen der Steppe verliere, sie schlagen hinter mir zusammen
und über mir, und der Himmel zeigt sich immer blau, und die Vögel singen weiter, und von mir
bleibt keine Spur zurück.
In diesem Augenblick erklang ein Glöckchen, silberhell, nah und immer näher,
dann ließ sich ein freundliches Schnauben vernehmen, und plötzlich stand ein wildes Füllen,
mit einer großen Schelle um den Hals, vor dem Knaben und sah erstaunt auf ihn nieder,
und er blickte nicht minder verwundert empor in die klugen schwarzen Augen des Tieres und
begann wieder laut zu lachen, so daß dieses erschrak und in leichten Sätzen das Weite suchte.
Noch eine Weile lachte der Knabe, dann dachte er, wenn ich so plötzlich einem Wolfe
begegnen würde? Der Pferdehirt sagt, sie folgen gerne den Hufspuren bis in die Steppe.
Mag sein, ist es mir bestimmt, so werde ich meinem Schicksal nicht entgehen, und ist es mir nicht
bestimmt, wozu sich dann grämen?
Er hörte jetzt ein Bächlein rieseln, das wie ein Silberfaden durch die Steppe zog;
dem ging er nach und saß dann an dem Ufer desselben im säuselnden Schilf und pflückte
Blumen und schnitt Pfeifen aus dem dicken Rohr, auf denen er die Vogelstimmen nachahmte.
Als der Knabe, der in der Taufe den Namen Plutin empfangen hatte, mittags heimkehrte, brachte er
seiner Mutter einen Strauß und einen zweiten seiner Schwester, und die Pfeifen, die so lustig erklangen,
wenn man sie zu beleben verstand, teilte er ehrlich mit seinem älteren Bruder,
der mit einem lateinischen Buche unter der alten Linde vor dem Pfarrhofe saß und für
den die Vögel vergebens sangen und die Sonne unnütz ihr warmes Gold verschwendete.
Es geschehen noch täglich Wunder und nicht bloß im schönen Neapel unter einem saphirblauen Himmel
und bei der ewigen Melodie des Meeres, auch in dem kleinen galizischen Nest beim Geplätscher der
Enten in den schmutzigen Pfützen und dem Geklapper der Störche auf den angerauchten Strohdächern,
auch in Maslow geschehen Wunder.
Eine Blüte fällt vom Baume, ein Lüftchen, nicht stärker als nötig ist,
um den Schatten der zitternden Blätter sanft über den grünen Rasen rieseln zu lassen,
trägt sie durch das offene Fenster in eine kleine, dumpfe, dämmerige Stube, und es erfüllt
sich ein Geschick.
Es war ein wunderbar schwüler und stiller Sommernachmittag, so schwül, daß man meinte,
die Erde müsse in Brand geraten und jetzt würden die hellen Flammen aus Wäldern und Bergen
hervorschlagen. Auf der heißen Scholle, die in trockene und graue Asche verwandelt schien,
ging der bloße Fuß des Bauern wie auf einem kochenden Vulkan. Die Luft war schwer,
sie schien auf Ähren und Pflanzen förmlich zu lasten und sie zu Boden zu neigen.
Oben im reinen Äther und unten im groben belebten Staube war alles so öde, so müde und stumm.
Nichts regte sich, alles schien in süßem Schlaf zu liegen, nicht einmal das Geflatter und
das Gezwitscher der Vögel und das Scharren und Gackern der Hühner war zu hören.
Die Vögel saßen unter den kleine Lauben bildenden Blättern wie in Schmollwinkeln, und
die Hühner lagen halb eingegraben im warmen Sande, an der Sonne.
Alles sonnte sich, die grünlich-blauen Schlangen mit den zierlichen gelben Halsbändern,
die aus dem verfallenen Gemäuer hervorgeschlüpft waren; die kleinen braunen Eidechsen
mit dem dunkelpunktierten Köpfchen, die auf weißen Kieseln, wie aus Bronze gebildet und
auf hübschen Schwersteinen befestigt, ruhten; die Ameisen, welche unermüdlich mit ihrer
Brut wanderten; und alles schwieg, sogar die Wachtel im nahen Weizenfeld schlug nicht mehr,
sondern saß sorglos auf ihren gefleckten Eiern.
Das Sonnenlicht, das durch das dunkle Blätternetz in das Gras niedersickerte,
schmerzte fast in seiner versengenden Glut, die den sich langsam hinwälzenden Fluß
in loderndes Feuer verzauberte; das Himmelsgewölbe, von keiner noch so kleinen Flocke überzogen,
stand groß, klar und freundlich, die Berge begrenzten den westlichen Horizont in leuchtender Erhabenheit,
der duftgrüne Horizont lag ihnen ruhevoll zu Füßen.
Es war eine klare, warme Augustnacht. Ich kam vom Gebirge herab, die Flinte auf der Schulter, mein großer schwarzer
englischer Wasserhund ging müde Schritt für Schritt hinter mir und ließ die Zunge hängen.
Wir waren vom Wege abgekommen. Mehr als einmal stand ich still, blickte umher und suchte mich zurechtzufinden.
Dann setzte sich mein Hund regelmäßig nieder und sah mich an.
Vor uns lag ein sanftes, bewaldetes Hügelland. Über den blauschwarzen Bäumen stand der volle rote Mond und
warf ein grelles Feuer auf den dunkeln Himmel. Groß und ruhig floß der weiße Strom der Sterne von Osten gegen Westen,
tief am nördlichen Horizonte stand der Große Bär. Zwischen den nahen Weidenstämmen stieg ein leichter,
durchsichtiger Dunst von dem kleinen Sumpfe auf, welcher in mattem grünen Schimmer zitterte, eine Rohrdommel
stöhnte im Schilf. Wie wir vorwärts schritten, füllte sich die Landschaft immer mehr mit Licht. Zu beiden Seiten
traten die düsteren Baumwände langsam zurück, und vor uns wogte die Ebene, ein grünes schimmerndes Meer, auf dem
ein weißer Edelhof mit seinen großen Pappelbäumen wie ein Schiff mit vollen Segeln schwamm.
Von Zeit zu Zeit zog ein sanfter Luftstrom durch Halme und Blätter und mit ihm ein wunderbarer Ton.
Als ich näher kam, entfaltete er sich in schwermütiger Schönheit. Es war ein gutes Piano, und eine geübte
feine Hand spielte die "Mondscheinsonate" von Beethoven. Mir war es, als werfe eine wunde Menschenseele ihre
Tränen auf die Tasten. Eine verzweifelte Dissonanz - dann schwieg das Instrument.
Ich war kaum hundert Schritte von dem kleinen einsamen Edelhofe entfernt, dessen finstere Pappeln trübselig rauschten.
Ein Hund rasselte traurig an seiner Kette, ein fernes Wasser sang einförmig, weinerlich durch die Nacht.
Jetzt erschien eine Frau auf der Freitreppe, stützte beide Arme auf das Geländer und blickte hinab.
Es war eine hohe schlanke Gestalt. Ihr bleiches Gesicht leuchtete im Mondlicht wie Phosphor, das dunkle Haar,
in einen üppigen Knoten geschlungen, floß ihr über die weißen Schultern. Sie hörte meine Schritte, richtete sich auf,
und wie ich am Fuße der Treppe stand, heftete sie ein paar große nasse dunkle Augen auf mich.
Ich erzählte meine Geschichte und bat um ein Nachtlager.
"Alles, was unser ist", sprach sie mit tiefer, weicher Stimme, "steht Ihnen zu Diensten;
wir haben so selten die Freude, einen Gast zu bewirten. Kommen Sie."
Ich stieg die morschen hölzernen Stufen empor, drückte die kleine zitternde Hand,
welche die Herrin mir entgegenstreckte, und folgte ihr durch die offene Türe in das Haus.