Der Entdecker des Mutterrechts

Was veranlasste vor ungefähr 150 Jahren den Schweizer Johann Jakob Bachofen,
aus einer der vornehmsten Familien der Stadt Basel stammend,
mit einer für das 19. Jahrhundert ungeheuerlichen These an die
Öffentlichkeit zu treten?
Es muss seine unumstößliche Überzeugung von der Richtigkeit seiner Theorie
gewesen sein, sonst hätte er nicht seine wissenschaftliche Reputation
und seinen Ruf als brillanter Richter aufs Spiel gesetzt!
Er war der erste, der den Standpunkt vertrat, dass es in der Menschheitsentwicklung
eine Kulturstufe gegeben hat, wo Frauen das dominierende Geschlecht gewesen war.
Er nannte diese Kulturstufe - das Mutterrecht, wir verwenden heute den Begriff »Matriarchat«.
Er war der erste, der für die Anerkennung des Matriarchats als historisches
Faktum eintrat. Wie Don Quijote gegen Windmühlen, so kämpfte er zeit seines
Lebens gegen die damaligen Lehrmeinungen, welche seine Theorie des Mutterrechts
als Unsinn konsequent abqualifizierten.
Ein zeitgenössischer Kritiker wertete seine Forschungsergebnisse als 'höheren Blödsinn'.
Unfundierte Kritik, Verständnislosigkeit und Spott trafen ihn sehr, trotzdem ließ er sich nicht
beirren und ging seinen Weg konsequent weiter. Anerkennung seiner Arbeit blieb
ihm während seines Lebens verwehrt, erst einige Jahrzehnte nach seinem Tod kam
es aufgrund von ethnologischen Entdeckungen matriarchaler Gesellschaften zur
teilweisen Rehabilitierung seiner Arbeit.
Was wissen wir über sein Leben?
Geboren wurde er am 22. Dezember 1815 in Basel als erster Sohn einer alteingesessenen reichen Basler Familie.
Die Familie besaß eine Bandfabrik, das Weben von Seidenbändern war Basis ihres Wohlstands.
Die Vorfahren der väterlichen Seite hatten sich in ihrem Leben auf das Geschäft konzentriert,
die Familie von Bachofens Mutter, das angesehene Geschlecht der Merian, hingegen hatte
zahlreiche Staatsmänner und Gelehrte hervorgebracht.
Schon als Knabe stach J.J. Bachofen durch ausgezeichnete schulische Leistungen hervor.
Auch als Student glänzt er. Er studierte in Berlin und Göttingen Altertumswissenschaften
und Rechtswissenschaften. Mit 23 Jahren schloss er seine Studien mit einer
umfangreichen Doktordissertation ab. Es folgte ein zweijähriger Aufenthalt in Paris und England.
Wieder daheim wurde er bald zum Professor für Römisches Recht ernannt, bekam eine Richterstelle und übernahm
ein politisches Amt in seiner Heimatstadt. Doch schon nach wenigen Jahren legte er die Professur und
das politische Amt zurück. Der Grund waren Vorwürfe, er habe diese Positionen allein aufgrund seiner
gesellschaftlichen Stellung erhalten.
Er arbeitete ein Vierteljahrhundert gewissenhaft als Richter für seine Heimatstadt, doch klagte er:
Kann den, der sich zu einem Amte berufen fühlt, etwas ihn tiefer Berührendes treffen, als wenn
ihm unmöglich wird, dies Eine auszuüben?
Bis zu seinem fünfzigsten Lebensjahr blieb er unverheiratet im elterlichen Haus wohnen.
Er heiratete im Jahr 1865 eine 30 Jahre jüngere Frau, die schöne und elegante Louise Elisabeth Burckhardt.
1866 wurde ihm der erste und einzige Sohn geboren.
Er pflegte zahlreiche Beziehungen zu Gelehrten und Wissenschaftlern Europas, doch vermied er es auch nicht,
vehement in Gegnerschaft zu Gelehrten zu treten, die Theorien vertraten, die er ablehnte.
So war der Historiker Theodor Mommsen mit seiner kritischen Geschichtsschreibung,
die allein klare Fakten anerkannte, besondere Zielscheibe seiner Kritik.
Mehrere ausgedehnte Reisen führten ihn nach Italien, Frankreich, Spanien und Griechenland, wo er
immer intensiv Forschungen vor Ort betrieb. Gerade in Italien fand er seine
seelische Erfüllung. So sagte er in seiner Autobiographie er habe in Italien
im vollen Gefühl der Herrlichkeit des Landes ein reicheres Leben geführt als irgendein König der Erde.
Die zwei letzten Jahrzehnte bis zu seinem Tod (25. November 1887) hat er das stille Leben eines Gelehrten geführt.
Karl Meuli schrieb über Bachofen (Gesammelte Werke, Band 3):
Es war schwer zu verstehen, wie ein kritisch scharfsinniger, gelehrter Romanist auf solche dilettantische
Irrwege geraten konnte, und es war traurig, daß er, stumme und laute Kritik verachtend, diese Wege
als einsamer Sonderling bis zuletzt hartnäckig weiterging.
Bachofen fasste seinen Weg in folgende Worte:
In den entscheidenden Augenblicken unseres Lebens handeln wir selten mit freier Selbstbestimmung.
Was unser Werk zu sein scheint, ist in seinem letzten Grunde höhere Leitung. Wir glauben, unsern Beruf zu wählen,
und werden in der Tat von ihm gewählt.
Sein Lebensmotto war: Wir sind alle genötigt, unsere Ziele weiter zu stecken,
als unsere Kräfte reichen, um am Ende nicht weniger zu leisten, als sie erlauben.
Letztlich war sein Wunsch: Nicht nach dem Resultat, sondern nach dem Streben möchte ich gerichtet sein.

Alexis Giraud-Teulon war einer der wenigen, welche Bachofens Genie schon zu dessen Lebzeiten
erkannten. Der Genfer Wissenschaftler war ein großer Bewunderer dessen Theorie des Mutterrechts.
Sie standen im regen Briefkontakt, wobei Giraud-Teulon viele Ideen Bachofens aufgriff und für seine eigenen Forschungen verwendete.
Für Bachofen war dessen Wertschätzung eine unschätzbare Wohltat, da er von den meisten zeitgenössischen Wissenschaftlern keine Anerkennung für seine Arbeit erhielt.
In seinem Buch
»La Mère chez certains peuples de l'Antiquité«
(deutsch: Die Mutter bei gewissen Völkern des Altertums) verwendet Giraud-Teulon die Idee des Mutterrechts von Bachofen, aber er formt sie insoweit um, als er darin keine generelle Stufe der Menschheitsentwicklung sieht wie Bachofen, sondern darin eine Erscheinung erkennt, die nur bei gewissen Völkern der Antike nachgewiesen werden kann. Diese Erkenntnis wird heute weitgehend wissenschaftlich akzeptiert.
Er ordnet diese Gesellschaftsform vorindoeuropäischen Kulturen zu.
Er erkennt in den antiken Völkern der Karer, Lykier, Nubier (=Äthiopier), Libyer einen matriarchalen Kulturkomplex, welcher sich von Kleinasien über Nordafrika bis nach Spanien und den Kanarischen Inseln (Guanchen) erstreckt hatte.
In Hinsicht auf die Amazonen ist Girard-Teulon anderer Meinung als Bachofen. Er glaubt nicht, dass es Amazonennationen gegeben hatte. Er vermutet, dass die Amazonensagen von Waffen tragenden Priesterinnen jener matriarchalen Kulturen inspiriert worden waren.
Das Buch von Alexis Giraud-Teulon »La Mère chez certains peuples de l'Antiquité« als eBook im PDF-Format (1,72 MB Dateigröße): => Hier herunterzuladen
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