Prähistorische Frauenfigurine aus Thermi auf Lesbos
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Die herausragende Rolle der Frau auf der Insel Lesbos
wird allein schon dadurch manifest, dass die berühmteste Dichterin der Antike -
Sappho
- hier ihre Heimat hatte.
Und voll fiel herab der Schein des Mondlichts,
als sie den Altar im Kreis umstanden.
Sappho
In dem hier zitierten Gedicht von ihr wird die selbstbewusste
und unabhängig Stellung der Frauen auf Lesbos offenkundig.
Auch bei dem Dichter Alkaios,
ebenfalls aus Lesbos stammend und ein Zeitgenosse Sapphos, tritt dies im hier zitierten Gedicht zu Tage.
Auserlesen von Wuchs, lesbische Mädchen drehn
langgewandet im Tanz hier sich, es schallt ringsum
jubelnd jauchzender Schrei der Fraun und
zum heiligen Fest himmelan tönt ihr Ruf.
Alkaios
Lesbos ist die drittgrößte Insel Griechenlands und liegt in der Ägäis.
Sie unterscheidet sich von den benachbarten Inseln durch ihre üppige Vegetation.
Auch im Hochsommer bietet sich hier ein überwiegend grünes Landschaftsbild.
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Pfeilspitze aus Thermi auf Lesbos
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Die antike Geschichtsschreibung verweist auf die besondere Rolle
der Frauen auf Lesbos, indem die Geschichte der Insel mit den Amazonen verknüpft wird.
Diodor liefert uns folgende Information:
Auch einige der Inseln hatte sie
(die Amazonenkönigin Myrina)
in ihre Gewalt gebracht,
insbesondere Lesbos, auf der sie die Stadt Mytilene gründete und nach ihrer
Schwester benannte, die an dem Kriegszug teilgenommen hatte.
Archäologische Fundsituation:
Es gibt zahlreiche Funde aus der Frühbronzezeit (3. Jahrtausend vor Chr.),
welche Hinweise auf eine matriarchal
geprägte Kultur liefern. Weiters offenbaren sie Querverbindungen zu den Amazonenkulturen
am Thermodon in der Nordtürkei und auf der griechischen Insel
Lemnos.
- In Thermi, einige Kilometer
nördlich der Inselhauptstadt Mytilene, wurde eine bedeutende
frühbronzezeitliche Stadtanlage freigelegt.
Die Architektur der frühbronzezeitlichen Stadt ist sehr ähnlich wie
Poliochni und Myrina auf Lemnos: Eine von einer mächtigen Mauer umschlossene
Stadtanlage, Häuser im Megarontypus, welche direkt aneinander angrenzen, Straßen
mit öffentlichen Plätzen und Brunnen. Die Wohngebäude sind insgesamt sehr einheitlich,
dies zeugt von einer egalitären Gesellschaftsform - einer Gesellschaft mit
keinen bzw. geringen Standesunterschieden. Eine derartige Gesellschaftsform ist
typisch für matriarchal geprägte Kulturen. Nicht eine von oben verordnete Macht,
sondern die Autorität der »weisen Frauen« leitet und regelt das Gemeinwesen.
Die prähistorische Stadtanlage von Thermi ist wahrscheinlich identisch mit der laut
antiker Überlieferung von Amazonen gegründeten Stadt Mytilene.
- Pfeilspitzen: Die hier gefundenen Pfeilspitzen können mit jener
antiken Überlieferung verknüpft werden, demzufolge die Amazonen
exzellente Bogenschützinnen waren.
- Frauenfigurinen und weibliche Idole wurden in
großer Zahl gefunden. Es gibt
den jugendlichen, kämpferischen Frauentypus in der Tradition der
griechischen Göttinnen Athena und Artemis, bzw. in der Art der Amazonen.
Daneben gibt es den Typus der sitzenden Matrone, in der Tradition der
prähistorischen »Großen Mutter«, bzw. der Kybele oder der griechischen Göttin Hera.
- Anhänger in Halbmondform: Der charakteristische
Schild der Amazonen (die sog. Pelta)
war halbmondförmig. Auch hat der Mond gerade in matriarchal geprägten
Gesellschaften große Bedeutung in der Religion und im Kult.
- Ähnliche Keramikformen:
Die auf Lesbos gefundenen prähistorischen Tongefäße
sind jenen aus der Dündartepe (Thermodon) Kultur sehr ähnlich. Dies
zeigt sich besonders in der Dekoration (lineare Ritz- und Rillenverzierung).
- Große Verehrung der Göttin Kybele.
Auf Lesbos wurden zahlreiche Statuen und Reliefs der Kybele gefunden.
Ein Kybele-Heiligtum wurde im ältesten Teil von Mytilene freigelegt.
Kybele war die kleinasiatische Variante der allmächtigen Muttergöttin
aus prähistorischer Zeit - der sog. »Großen Mutter«.
In Agiassos auf Lesbos befindet sich ein überaus bedeutendes
Marienheiligtum - ein berühmter Wallfahrtsort für Pilger von
nah und fern. In der Verehrung der »Mutter Gottes« (Panagia)
lebt vermutlich die Verehrung der prähistorischen »Großen Mutter« -
der allumfassenden matriarchalen Muttergöttin - bis heute fort.
- Prähistorische Megalithbauten - Pelasgische Mauern.
Überreste von prähistorischen Mauern, welche aus großen Steinblöcken
ohne Verwendung von Mörtel errichtet wurden (in sog. Megalithbauweise)
sind auch auf Lesbos anzutreffen. Diesen Baustil konnten wir auch im
prähistorischen Lemnos und in der Thermodon Kultur nachweisen.
- Der heilige Felsen von Petra.
Im Norden von Lesbos, nahe der Stadt Methmyna (Molivos), liegt der berühmte Ort Petra.
Schon durch seinen Namen - Petra heißt aus dem Griechischen übersetzt Fels -
wird die Bedeutung des Ortes klar.
Der Kultfelsen von Petra, worauf sich heute eine Kirche befindet,
war vermutlich schon in prähistorischer Zeit ein wichtiges Heiligtum.
Ein Fels wird auch heute noch auf der heiligen Insel der Amazonen im
Schwarzen Meer (mit Namen Aretias, heute: Giresun Adasi) kultisch verehrt. Auch auf Lemnos
gibt es einen bedeutsamen prähistorischen
Kultfelsen - Riha Nera bei Myrina.
Zuletzt ist noch ein überraschendes Detail erwähnenswert:
In Skala Sikaminea, im Nordosten der Insel, befindet sich
die kleine Kapelle Panagia Gorgona (Panagia = Mutter Gottes).
Die Gorgonen waren nach antiker Überlieferung ein Volk der Amazonen.
Somit trägt diese Kapelle als Beinamen der Muttergottes einen
Amazonennamen, so wie auch die heutige Inselhauptstadt Mytilene (Mitilini) - eine bemerkenswerte Parallele!
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